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Stellungnahme zur rechtlichen Relevanz der hessischen Infektionshygieneverordnung in ihrer Fassung vom 8. Dezember 2017.

Auf Grund der ihm insoweit nach dem Grundgesetz (Art. 74 Abs. 1 Nr. 19 GG) zustehenden Gesetzgebungskompetenz hat der Bundesgesetzgeber das Infektionsschutzgesetz (IfSG) erlassen. Neben anderen Maßnahmen zum Infektionsschutz sieht das Gesetz in seinem 4. Abschnitt Maßnahmen zur Verhütung übertragbarer Krankheiten vor. Übertragbare Krankheiten sind nach der Definition in § 2 Nr. 3 IfSG solche Krankheiten, die durch einen Krankheitserreger oder deren toxische Produkte übertragen werden.

Im Rahmen dieser Aufgabe, also der Bekämpfung der Übertragung von Krankheitserregern sowie deren toxischer Produkte, hat der Bundesgesetzgeber den Landesregierungen die Ermächtigung erteilt, im Wege einer Rechtsverordnung entsprechende Gebote und Verbote zur Verhütung übertragbarer Krankheiten zu erlassen (§ 17 Abs. 4 IfSG). Diese Ermächtigungsgrundlage enthält jedoch eine wesentliche Einschränkung: Eine Landesregierung darf im Wege einer Rechtsverordnung Gebote und Verbote nur dann erlassen, wenn entweder Gegenstände mit meldepflichtigen Krankheitserregern behaftet sind oder dies anzunehmen ist.
Insofern handelt es sich um eine besondere Maßnahme zur Abwehr einer konkreten Gefahr. Darüber hinaus ist der Erlass entsprechender Gebote bzw. Verbote im Wege einer Rechtsverordnung durch die jeweilige Landesregierung nur dann zulässig, wenn Tatsachen festgestellt worden sind, die zum Auftreten einer übertragbaren Krankheit führen können oder zumindest anzunehmen ist, dass solche Tatsachen vorliegen (§ 16 Abs. 1 IfSG ). Auch in diesem Falle erstreckt sich die Befugnis also allein auf die notwendigen Maßnahmen zur Abwendung einer konkreten Gefahr.

Demgegenüber knüpft die hessische Infektionshygieneverordnung nicht an eine in § 16 oder § 17 Abs. 1 IfSG beschriebene konkrete Gefahr an, sondern regelt in abstrakt-genereller Weise die Tätigkeiten bestimmter Berufsgruppen am Menschen, die Verletzungen der Haut oder Schleimhaut vorsehen oder mit sich bringen können.

Da es sich mithin um eine gewerberechtliche Regelung abstrakt-genereller Natur handelt, ist diese nicht durch die zur konkreten Gefahrenabwehr bestimmte bundesgesetzliche Ermächtigungsgrundlage gedeckt. Damit entspricht die hessische Infektionshygieneverordnung nicht dem geltenden Recht und ist verfassungswidrig.

Bezeichnender Weise findet sich deshalb auch in keinem anderen Bundesland eine entsprechende Regelung, die an § 17 Abs. 4 IfSG als bundesrechtliche Ermächtigungsform anknüpft. Ob sich eine entsprechende Vorordnung des Landes Hessen auf eine andere rechtliche Grundlage stützen lässt, wird man im Hinblick auf den Vorrang des Bundesgesetzgebers in diesem Bereich bezweifeln müssen.

Zum Inhalt der Infektionshygieneverordnung wäre aus rechtlicher Sicht noch anzumerken, dass sich hinsichtlich der Art der Vermittlung der notwendigen Sachkunde aus § Abs. 10 Satz 4 dieser Verordnung schon dem Wortlaut nach keine Regelung getroffen wurde, die z.B. ein Verbot eines Online (=ELearning) -Lehrganges und das Bestehen auf Präsenztagen bei der Wissensvermittlung schließen lassen könnte. Dort wird lediglich bestimmt, dass auf der Internetseite des Sozialministeriums die Inhalte der Sachkunde bekannt zu geben sind. Entsprechend weist das dort hinterlegte Mustercurriculum auch lediglich die konkret zu vermittelnden Inhalte aus, ohne jedoch die Art und Weise der Vermittlung der Sachkunde zu bestimmen. Weder nach dem Verordnungstext selbst noch nach dem Mustercurriculum ist hiernach eine Präsenzpflicht der Kursteilnehmer vorgeschrieben.

Weiterhin stützt sich das mit der Ausführung der Rechtsverordnung befasste Regierungspräsidium Darmstadt bei der Beurteilung der angebotenen Lehrgänge auf den „Leitfaden für den ÖDG in Hessen zur Überprüfung von Ausbildungsstätten, welche die notwendige Sachkunde nach der Infektionshygieneverordnung Hessen vermitteln“.

So bezieht sich der Leitfaden auf § 9 Abs. 1 des HGöGD bzw. § 36 Abs. 2 des IfSG, die in der Tat eine Überwachungsmöglichkeit vorsehen. Allerdings handelt es sich bei den Anbietern dieser Sachkundekurse nicht um Einrichtungen, bei denen die Möglichkeit besteht, dass durch Tätigkeiten am Menschen durch Blut Krankheitserreger übertragen werden (§ 36 Abs, 2 IfSG), weshalb die Überwachungsbefugnis durch die Gesundheitsämter hinsichtlich der Anbieter dieser Sachkundevermittlung nicht besteht.

Denkbar wäre allenfalls eine Überwachungspflicht für diejenigen Ausbildungsstätten, die gleichzeitig den Sachkundenachweis vermitteln und auf Grund ihrer sonstigen Tätigkeiten (Pflegedienste, Krankenhäuser, OP-Zentren) unter das Überwachungsregime der Gesundheitsämter fallen. Aber auch in diesen Fällen dürfte sich die Überwachung nach § 9 Abs. 1 HGöDG nur auf den Infektionsschutz in Gemeinschaftseinrichtungen bzw. die Gefahrenabwehr zur Verhütung übertragbarer Krankheiten erstrecken – nicht aber auf die Ausgestaltung von Kursinhalten des Sachkundenachweises.

Auch hier ist also festzustellen, dass sich die zuständige Behörde mit der Verbindlicherklärung des Leitfadens für den öffentlichen Gesundheitsdienst offenkundig außerhalb der ihr zustehenden Befugnisse bewegt. Der Leitfaden ist daher nicht verbindlich.

Vor diesem Hintergrund sehen wir daher keinerlei rechtliche Grundlage, Absolventen von z.B. online-Kursen oder vergleichbaren Kursangeboten auf der Grundlage vermeintlich entgegenstehender Regelungen der Hessischen Infektionshygieneverordnung oder gar des Leitfadens für den ÖGD den Nachweis der Sachkunde zu versagen.

Prof. Dr. Gerhard Hücker
Kelkheim, den 3. Dezember 2018